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Wildpoldsried muss sich warm anziehen

  • Sielenbach

Mit dem fünften Nahwärmenetz hat Sielenbach jetzt alle Haushalte erschlossen. Fast 1,2 Millionen Liter Heizöl werden inzwischen jährlich eingespart. Regenerative Stromerzeugung nähert sich im „Energiedorf“ dem 14-Fachen des Verbrauchs.

Wenn in weiß-blauen Landen von einem „Energiedorf“ die Rede ist, dann werden meist Bilder aus Wildpoldsried im Oberallgäu gezeigt. Rund sieben Mal so viel Strom wird dort pro Jahr aus erneuerbarer Energie erzeugt, wie die Kommune selbst verbraucht. Mit diversen Preisen wurde diese vorbildhafte Leistung ausgezeichnet. Dabei hat Wildpoldsried mit Sielenbach längst Konkurrenz bekommen. Mehr noch: Das „Sonnendorf“ im Wittelsbacher Land befindet sich mit Vollgas auf der regenerativen Überholspur. Dieser Tage wurde das fünfte Wärmenetz fertiggestellt, womit nun im kompletten Gemeindegebiet umweltbewusstes Heizen möglich ist. Fast 1,2 Millionen Liter Heizöl werden pro Jahr eingespart. Durch Abwärme wohlgemerkt, denn mit Biogas, Wind und Photovoltaik wird auf Sielenbacher Dächern und Fluren Strom erzeugt. Sehr viel Strom. Nach Schätzungen von Bürgermeister Martin Echter nähert man sich schon bald dem 14-Fachen des Verbrauchs. Da muss sich Wildpoldsried warm anziehen.

Wer Echter kennt, der weiß, dass es ihm nicht um Rekorde oder gar Ehrungen geht. Überaus bescheiden berichtet er auf Nachfrage über die Komponenten des Erfolgs, für den sich inzwischen Besuchergruppen aus der halben Welt interessieren. Stolz ist der Gemeindechef freilich schon, eben weil der Weg zur umweltbewussten Energieversorgung auch gesellschaftliche Komponenten hat. Natürlich muss die Gemeinde mitziehen und Stolpersteine beseitigen. Natürlich braucht es mutige Investoren, die bereit sind, Geld in die Hand zu nehmen. Es braucht aber auch Anlieger, die Vertrauen haben und tatsächlich einsteigen. Dies alles sei in Sielenbach der Fall. Nicht nur, weil sie sich einen eigenen finanziellen Vorteil versprechen. „Ich glaube, die Leute handeln bei uns aus Überzeugung“, betont Echter. Nie habe es Streit oder Zweifel gegeben. Die Entscheidung etwa, den beiden Windrädern der Energiebauern auf Sielenbacher Flur das gemeindliche Einvernehmen zu erteilen, war im Gemeinderat in wenigen Minuten abgehandelt. „So ein Windrad stört doch keinen“, sagt Echter. Kritik aus der Einwohnerschaft? Fehlanzeige!

Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass es Energiebauern-Gründer Sepp Bichler war, der in Sielenbach Pionierarbeit leistete. „Er war immer unser Energiepapst“, blickt der Gemeindechef am Ende seiner dritten und letzten Amtsperiode schmunzelnd zurück. Bereits Ende der 1970er Jahre montierte Bichler auf seinem Stadldach erste Module. Damals noch müde belächelt oder gar für verrückt erklärt. Der Rest ist Geschichte. Heute gibt es kaum noch ein Dach in Sielenbach und Tödtenried, das nicht mit Photovoltaik bestückt wäre. Fast 200 Anlagen sind in der 1800 Einwohner zählenden Gemeinde am Start. Erst jetzt kommen zwei Solarparks zwischen Gansbach und Sielenbach sowie bei Raderstetten dazu, wird quasi auch noch Grund und Boden an die Sonne „angesteckt“. Energie liefern aber auch noch Biogasanlagen. Und die haben einen Nebeneffekt, den Martin Echter und mehrere Landwirte zu nutzen wissen: Die Stromerzeugung ist mit Abwärme verbunden, die nicht nutzlos in die Umwelt geblasen wird.

Als Stefan Finkenzeller aus Unterhaslach 2011 mit der Idee eines Nahwärmenetzes auf den Bürgermeister zukam, war die Entscheidung umgehend gefallen: „Ja, das machen wir!“ Fast 80 Prozent der Anwohner in Tödtenried, Unter- und Oberhaslach dockten an das Wärmenetz I an und haben es nicht bereut. Es folgten Namenskollege Martin Echter aus Schafhausen, an dessen Netz auch Kloster Maria Birnbaum und das Gewerbegebiet hängen, sowie Michael Lutz aus Raderstetten, die Familie Held aus Andersbach für den Bereich Sielenbach Nord-West und schließlich nun Josef und Michael Held für Sielenbach Süd-Ost. Damit ist der Kreis geschlossen – „die Gemeinde ist fast ölfrei“, wie der Bürgermeister ausführt. Es gebe zwar noch Bürger, die ihre alten Heizungen behielten, „die meisten davon bereuen es aber schon“, weiß Martin Echter. Zum Teil setzen Hausbesitzer aber auch auf umweltbewusste Wärmepumpen oder Gasversorgung.

16,5 Kilometer lang ist das komplette Leitungsnetz. Es gibt zwar durchaus Preisunterschiede zwischen den  einzelnen Netzen, man liege aber so etwa bei 70 Prozent des Heizölpreises, erläutert der 68-Jährige. Und auch Zuckerl gibt es. In einem Fall erhalten die Abnehmer die Wärme in den Monaten Mai bis August sogar gratis.

An die 70 Prozent aller Haushalte sind dabei, schätzt Echter. 349 Wohnungen weist seine Statistik aus. Damit nicht genug. Die Biogasbetreiber nutzen die Abwärme auch für Ställe oder Trocknungsanlagen für Getreide, Körnermais sowie Scheitholz und Hackschnitzel, dazu kommen Gäste wie etwa das Pflegeheim im benachbarten Wollomoos. Die Gemeinde selbst hat alle öffentlichen Gebäude angeschlossen. Vom Kinderhaus und Kindergarten bis zur Schule, von der Feuerwehr bis zum Pfarrhaus. Dass sämtliche Neubauten der Gemeinde ohnehin mit Niedrigenergie-Status errichtet wurden, versteht sich für Echter von selbst. Da macht auch das neue Acht-Familienhaus für sozial schwächer gestellte Sielenbacher keine Ausnahme. Ist es fertig, verfügt die Kommune über 24 Sozialwohnungen. Neben der Schaffung von zahlreichen Bauplätzen für Einheimische ein weiterer wertvoller Beitrag für die Gemeinschaft, wie Echter findet. Auch von der Nahwärmeversorgung profitieren viele, und sicher ist sie angesichts der verschiedenen Netze und damit Standbeine zudem. Bis dato sei es noch zu keinem Ausfall gekommen. Die Diskussionen über Monokulturen für Biogasanlagen kennt der Bürgermeister natürlich, weiß aber auch diesbezüglich die Betreiber hinter sich. Vermutlich werde es auf Dauer nicht bei Mais bleiben, „dann steigen sie auf Hackschnitzel um“. Zum Teil sind schon jetzt Hackschnitzelheizungen ins Netz integriert. „Wäre die Gemeinde nicht so offen diesem Projekt gegenüber gestanden, wäre es wohl nicht realisiert worden“, geben Netzbetreiber das Lob zurück. Martin Echter hat vom „Energiepapst“ gelernt, war bereit, Risiken einzugehen, entpuppte sich dazu als Motivationskünstler.

Abschließend noch ein kurzer Blick auf die Strombilanz. Gut vier Millionen Kilowattstunden wurden 2018 in Sielenbach und Tödtenried aus den Steckdosen gesaugt, über 19 Millionen Kilowattstunden wurden eingespeist. Das wäre knapp das Fünffache des Eigenverbrauchs. Wobei in dieser Rechnung die beiden Windräder der Energiebauern auf Sielenbacher Flur nicht eingerechnet sind. Deren Strom wird bei Ecknach ins Netz geschickt, für Echter kommt er aber dennoch aus Sielenbach. Eine exakte Ermittlung erschwert zudem die Tatsache, dass inzwischen längst nicht mehr jede Kilowattstunde an die Netzbetreiber übergeben wird, der Eigenverbrauch des grünen Stroms zunehmend eine Rolle spielt. Nach Schätzung des Bürgermeisters, in die er neben den Windrädern auch die beiden neuen Solarparks einbezieht, ist seine Kommune auf dem Weg, das 14-Fache des tatsächlichen Stromverbrauchs aus regenerativen Quellen zu erzeugen.

„Nicht schlecht für so eine kleine Gemeinde“, wie er mit einem Schmunzeln anmerkt. Das hat sich inzwischen bis nach Japan herumgesprochen. Bereits zwei Besuchergruppen aus dem Land der aufgehenden Sonne waren schon in Sielenbach auf Spurensuche.

Von Robert Edler, Aichacher Zeitung, 04.09.2019

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